Wie ein Countdown beim Raketenstart
Olaf Rupp im Interview mit Ulrich Stock
Der Berliner Gitarren-Virtuose Olaf Rupp über seine Kunst, völlig planlos auf die Bühne zu gehen.
Olaf Rupp / Bild: Olaf Rupp
Anruf beim Gitarristen zu Hause in Berlin-Neukölln. Wir plaudern gleich los, er ist aber schwer zu verstehen unter einem hellen, unregelmäßigen Scheppern in der Leitung. Was ist das für ein Geräusch? „Ich wasch mir grad den Ellenbogen“, sagt Olaf Rupp, „der tut weh, und wenn man da zu viel Arnika-Salbe drauftut, geht die einfach nicht mehr in die Haut rein. Seit Corona ist da eigentlich was nicht ok.“
So sind wir sofort bei Befindlichkeiten, Umständen des Musiker-Lebens, Fragen der Vorbereitung. Wenn er ein Solokonzert mit komplett frei improvisierter Musik spielt, also keine Kompositionen, keine Stücke, kein Programm, wie geht er da heran? „Den Monat vor dem Auftritt sind drei Stunden Üben am Tag das Minimum, davon eine Stunde richtig Spielen wie ein Konzert, zuhause in der Küche.“ Und dann, am Tag des Auftritts? „Das ist wie ein Countdown beim Raketenstart, das fängt morgens an. Möglichst keinen Stress haben, einen Autounfall vermeiden, eine Stunde Warmspielen. Mittags noch eine Siesta. Man spielt besser, wenn man ausgeschlafen ist.“
Und wenn es auf die Bühne geht? „Ich versuche im Kopf das Fenster aufzumachen zur Musik.“ Woher kommt der erste Ton? Hat er sich den vorher überlegt? „Ich versuche das zu vermeiden. Früher habe ich mir einen Anfang vorgestellt, also, ich beginne mit einem Tremolo, dann ein Pizzicato, das passt super – hat aber nie funktioniert. Ich plane nicht während des Spielens, deshalb plane ich auch den Anfang nicht. Also, ich fange wirklich in dem Moment an.“
Manche Musiker, die improvisieren, schaffen sich eine grobe Dramaturgie, indem sie ihre Techniken portionieren, also nicht alles, was sie können, von Anfang an einsetzen, um Redundanzen zu vermeiden. Wie sieht΄s damit aus? „Das mag ich überhaupt nicht. Wenn ich so jemanden spielen höre, dann denk ich: Ah, jetzt kommt das mit der Flatterzunge, und jetzt kommt das mit dem Becher. Die wechseln dann auch ihr Instrument zwischendurch, alles nach einem Plan. Das ist schon ein kompositorisches Moment. Für mich hat sich das nicht bewährt. Es ist reine Nervensache, dass man nicht gleich in den ersten zehn Minuten alle Tricks verschießt, die man so hat, nur weil man nervös ist. Das gibt sich irgendwann. Mittlerweile bin ich auf der Bühne nur noch selten nervös, beim Solospielen gar nicht.“
Ist eine Improvisation in der Gruppe einfacher als allein? Wenn man selbst mal keine Idee hat, wie es weitergeht, hat jemand anders eine? „Ja und nein, kein Gegenüber zu haben kann einem auch helfen. Man muss nicht so viel kämpfen. Es kann zudem sein, dass auch die anderen keine Idee haben.“
Wenn es ohne Plan geht und zur Not auch ohne Idee geht, gehen muss, was geschieht denn da eigentlich beim Spielen? „Das ist schwer zu vermitteln. Ich denke dann nichts. Ich versuche in der Musik zu leben, aber ich bin nicht in Trance. Ich kenne das von Kindern: Wenn Kinder spielen, dann sind die ganz weg, und die sind ja auch nicht in Trance. Man ist halt in dem Stück, das man macht, ganz drin. Das ist, wie wenn man etwas macht und darüber die Zeit vergisst.“
Ulrich Stock
schreibt für DIE ZEIT in Hamburg über Jazz und verwandte Musik.
Zeit im Auge haben? „Mittlerweile lege ich mir eine Uhr hin. Die innere Zeit ist ja ganz anders als die äußere. Ich hatte es früher schon, dass ich ewig lang gespielt hatte und dachte, das war jetzt nur eine halbe Stunde, oder auch, dass ich nach zwanzig Minuten aufgehört habe im Gefühl, das war jetzt viel zu lang.
Wie steht es um die Qualität? Wann empfindet er ein solches Konzert als gut, wann als weniger gut? „Das ist für mich nicht die Kategorie. Ich versuche das Set so anzustoßen, dass es läuft wie ein Domino, dass ich nicht noch Ideen haben muss. Die Ideen kommen eigentlich aus der Musik heraus. Das Problem ist eher, nicht zu viele Ideen reinzuschmeißen. Meist hat man viel zu viele Ideen. Es ist interessanter, einen Fokus zu behalten und eine Sache zu entwickeln. Wenn man eine Idee hat und will sie für später aufbewahren: Da fängt es ja schon an kognitiv zu werden. Manchmal pendele ich zwischen zwei Ideen, dann muss ich natürlich bewusst damit umgehen, das fließt nicht so von selbst. Mir ist es am liebsten, wenn es von selber fließt. Deswegen schaue ich auch nicht so auf eine Dramaturgie, auf einen Bogen. Ich will, dass es für das Publikum so ist, wie es für mich ist. Da geht ein Fenster auf, und dann ist die Musik da, und dann geht das Fenster zu, und die Musik ist wieder weg.“
Klingt glasklar. Sofort schickt Olaf Rupp ein Aber hinterher: „Das klappt meistens nicht. Irgendwie kommt immer wieder so ein Bogen hinein. Dann merkt man, gleich ist Schluss, und spielt auf einmal so, als wäre jetzt gleich Schluss.“ Ja, wie endet so eine Solo-Improvisation dann? „Im Idealfall, wenn es von selbst aufhört. Ba dang dada-dang dangchang – und dann ist Schluss. Und dann muss ich ja nur in dem kurzen Moment entscheiden, ok, ich nehme den Schluss, ich bleibe jetzt dabei, sonst kommt halt sofort die nächste Note.“
Und dann fällt Olaf Rupp ein schönes Bild ein für das, was er macht: „Das ist, wie wenn man an einem Feuer sitzt, und man macht ab und zu was, sonst geht das Feuer aus. Aber man versucht halt, nicht zu viel drin herumzustochern, sonst zerfällt es. Es geht darum, sich zurückzuhalten, sich bewusst zu entscheiden, es nicht zu kontrollieren, solange es in die richtige Richtung läuft.“
Und wenn der Auftritt vorbei ist? „Ich bin leider kein Entertainer. Ich bewundere die Leute, die dann immer noch so quatschen können, mit dem Publikum so Witze machen. Das gelingt mir einfach nicht.“ Udo Jürgens kam immer im Bademantel noch mal auf die Bühne. „Da könnte ich noch dran arbeiten“, sagt Olaf Rupp vergnügt, „vielleicht nehme ich einen Bademantel mit nach Bonn.“
Olaf Rupp | so 21 april ’24 15 h | Beethoven-Haus Bonn